Samstag, Juli 29, 2023

Testseite

Kirchenführer
Mit dem jetzt vorliegenden „Kirchenführer" wollen wir Ihnen, lieber Besucher unserer Laurentiuskirche in Neckarweihingen, Bedeutsames und Wissenswertes aus der mehr als 500-jährigen Geschichte unserer Kirche an die Hand geben.
Eine Kirche ist ja nicht nur ein Haus wie andere Häuser, sondern ein Ort, der in vielfacher Weise vom Leben und Glauben unserer Vorfahren erzählt, von ihren Sorgen und Hoffnungen, von dem, was in der Welt los war. Und dann ahnt man etwas davon, wie Menschen lange vor uns hier Sonntag um Sonntag zusammengekommen sind, um zu erleben, was über den Alltag hinausweist in die Ewigkeit.
Ihr
Pfarrer M. Armleder


Laurentiuskirche - gestern und heute
Über 500 Jahre wechselvolle Geschichte

1. Unsere Kirche in ihren Anfängen
Auf dem einstigen Begräbnisplatz inmitten des alten Dorfes wurde im Zeitraum von
100 Jahren, von 1380 - 1480, unsere Laurentiuskirche erbaut anstelle der alten, kleinen Steinkirche mit ihrem Ostturm aus dem 10. Jahrhundert, die baufällig war und abgerissen werden musste. Zunächst (1380) entstand der Chor mit dem Kreuzgewölbe und mit den Butzenscheibenfenstern in ihrem schönen, gotischen Maßwerk. Die Wände waren durch Fresken mit Darstellungen von Heiligen- und Märtyrerlegenden geschmückt, die Sand-steinplatten des Chorbodens dienten als Gruft für bedeutende Gemeindeglieder. Im Chor stand der dem Laurentius geweihte Hauptaltar, die Chorschranke (bis 1953 erhalten!) trennte den „heiligen" Chorraum vom Kirchenschiff.
Als nächster Bauteil entstand die außergewöhnlich schöne, sehr hohe Sakristei, laut Inschrift im Netzgewölbe im Jahr 1454 fertig gestellt. Sie war ursprünglich fensterlos und nur von der Kirche aus zugänglich und diente zur Aufbewahrung der Kirchenschätze. Die Tür von der Sakristei zur Kirche ist daher außergewöhnlich fest - ein Wunder der Zimmermanns- und Schlosserkunst.
Das Kirchenschiff war ursprünglich ein schmales, gotisches Langhaus ohne Bänke mit dem Taufstein, den Beichtstühlen und 2 Nebenaltären, dem St. Agnesaltar und dem
St. Annaaltar.
Am 10. August, am Laurentiustag, im Jahre 1468 wurde das neu erbaute Schiff feierlich vom Bischof von Speyer geweiht - am nördlichen Chorbogenpfeiler ist diese Jahreszahl eingemeißelt. Der mächtige Westturm mit eigenem Fundament und 5 Stockwerken wurde 1480 vollendet.
Gleichzeitig mit der Vollendung des Turmes erhielt unsere Kirche das erste ihrer einzigartigen Kunstwerke:

Das Kruzifix
Als Dank gegen Gott für den gelungenen Kirchenneubau haben die Weihinger um 1480 einem berühmten Bildschnitzer etwas ganz Besonderes in Auftrag gegeben: einen Christus am Kreuz in Lebensgröße, mit beweglichen Armen, einen Christus, der abnehmbar war, um bei Prozessionen durch den Ort und die Felder getragen zu werden, damit der Segen des Kreuzestodes überall spürbar wurde. Am Karfreitag wurde der Leib des Gekreuzigten in ein im Chor vorbereitetes Grab gelegt - eine Art Passionsspiel als Trost für die Menschen, die damals von Todesfurcht und Fegefeuerangst geschüttelt waren.
So war nun im Zeitraum von 100 Jahren der Kirchbau vollendet, ein Ort der Geborgenheit, ein Bau für die Zukunft, unter viel Mühen und Einsatz und Opfern mit Hilfe von großen Stiftungen errichtet, zur Ehre Gottes, zur Zuflucht vor der Angst der Zeit, ein Hort der ewigen Seligkeit.


2. Unsere Kirche im Jahrhundert der Reformation
Der Bauernkrieg 1525, die Einführung der Reformation durch Herzog Ulrich im Jahr 1535, die Gegenreformation (Interim) 1548 - 1553 und schließlich der Augsburger Religionsfrieden 1555 - all dies hinterließ seine tiefen Spuren in unserem Ort und seiner Kirche. Es ist ungemein spannend zu verfolgen, wie viel Unruhe und Kämpfe, welchen Wandel der
Traditionen, welchen Umbruch ohnegleichen dieses Jahrhundert in der Ortsgeschichte bewirkt hat. Der Reformator des Ortes, Pfarrer Rochus Birer, der „wie mit Feuerzungen" predigte, führte den evangelischen Glauben in Neckarweihingen ein. Die hiesigen Bauern standen auch in der Zeit der Gegenreformation, als er seines Amtes enthoben wurde, kraftvoll und treu zu ihm, so dass er wieder in sein Amt eingesetzt wurde, während der katholische Priester sich nicht halten konnte. Der Sonntagsgottesdienst wurde vollständig umgestaltet: Die Gemeinde sang nun ihre Lieder gemeinsam - auswendig, in deutscher Sprache; sie lernte die deutsche Bibel zum ersten Mal kennen durch die Kapitellesungen vor dem Zusammenläuten; beim Abendmahl durfte sie sechs Mal im Jahr durch die geöffneten Chorschranken in den geheiligten Chor eintreten und Brot und Wein empfangen.
Vor allem aber:
Nicht mehr das Geschehen im Chor, sondern die Predigt von der Kanzel, war das Herzstück des Gottesdienstes. Nicht mehr das Sehen, sondern das Hören stand im Zentrum.
So ging die Gemeinde schon 100 Jahre nach der Fertigstellung der Kirche daran, ihre Kirche nach den Grundsätzen der Reformation gründlich umzugestalten. War sie vorher eine Stätte der persönlichen Andacht und der Meßfeier gewesen, so wurde nun die Predigt auch baulich in den Mittelpunkt gerückt. Die Nebenaltäre wurden ins Museum nach Marbach geschafft. Kirchenbänke wurden in den Kirchenraum gestellt und durch Einbau von Emporen an allen 4 Wänden wurden ausreichend Sitzplätze geschaffen zum Hören der Predigt. Das Kirchenstuhlrecht wurde eingeführt: Wer eine Bank stiftete, hatte ein ewiges Sitzrecht darauf für sich und seine Nachkommen.
Viel wichtiger war aber, dass nun - anstelle der Nebenaltäre - im Kirchenschiff eine der Herrlichkeit der Verkündigung des Evangeliums entsprechende Kanzel gestiftet wurde. Das ist das zweite unvergleichliche Kunstwerk, das unsere Kirche besitzt:

Die Kanzel
Sie dürfte um 1580 entstanden sein. Schon vom Handwerklichen her ist sie etwas Besonderes: Kanzelträger mit Kanzel sind aus einem Stein geschlagen; nur der Schalldeckel ist gipsverkleidetes Holz.
Als Kanzelträger wurde die Figur des Orts- und Kirchenheiligen Laurentius gewählt, der als Diakon (Armenpfleger) in Rom während der Christenverfolgung durch Kaiser Valerian im Jahre 268 auf einem glühenden Rost zu Tode gemartert wurde. Er hält in der linken Hand den Rost, mit der rechten Hand trägt er den Fuß der Kanzel als eine liebe Last, obwohl ihre Schwere durch die beiden starken Wülste auf dem Nacken des Trägers angedeutet ist. So empfindet die junge evangelische Kirche die Predigt des reinen Evangeliums als die ihr auferlegte schwere, aber geliebte Aufgabe. Das Gesicht des jungen Laurentius ist gestaltet nach der Stefanusgeschichte in Apg. 6, 5, wo es von dem Märtyrer heißt: „Sie sahen aber sein Angesicht strahlen wie eines Engels Angesicht". Wenn Laurentius die Kanzel so fröhlich und mutig trägt, so soll damit ausgesagt werden, dass unsere Predigt auf dem Zeugnis derer ruht, die vor uns waren, auf dem Zeugnis durch Wort, Liebestat und Märtyrertod.


3. Unsere Kirche in Krieg, Not und Gefahr im 17. und 18. Jahrhundert
Die Baugeschichte der Kirche ist in den nächsten Jahrhunderten bestimmt durch die unglückliche Geschichte des Ortes. Im 30-jährigen Krieg wurde er nach der Schlacht bei Nördlingen von den kaiserlichen Truppen besetzt und vollständig ausgeraubt - auch die Kirche wurde nicht verschont. Pest und Hungersnot erschütterten den Ort. Die Bevölkerung floh in das befestigte Marbach, der Gottesdienst hörte für einige Zeit völlig auf. Nach dem Krieg musste man daran gehen, das halb zerstörte Gotteshaus wieder zu renovieren. Doch 1693 beim Franzoseneinfall wurde die Kirche erneut ganz ausgeplündert. Talar, Bibel und alle Glocken wurden mitgenommen. Daraufhin stiftete die Witwe Koppin die dritte Kostbarkeit der Kirche:

Die alte Bibel von 1699
Diese Bibel enthält kostbare alte Bilder zu den biblischen Geschichten. Sie ist jetzt im Chor der Kirche in der Nische im alten „Sakramentshäuschen" aufbewahrt. Erhalt uns Herr bei deinem Wort!
Auch in den folgenden Jahrzehnten war die Kirche mancherlei Gefahren ausgesetzt. Drei Mal schlug der Blitz in den Turm ein - 1702, 1787 und 1835. Beim letzten Mal brannte der Turm 5 Stunden lang wie eine Fackel, so dass die Uhr auf die Straße geschmettert wurde und die Glocken zerschmolzen. Immer wieder waren also Ausbesserungen notwendig.
Im Jahre 1742 wurde die erste Orgel der Kirche jubelnd eingeweiht. Doch der Herzog in Ludwigsburg ließ sie für seine neu erbaute Garnisonskirche requirieren. Als sie nach Jahren zurückkam, war sie in sehr schlechtem Zustand. 1829 wurde eine neue (Walcker) Orgel angeschafft, die mit der Zeit aber auch reparaturanfällig wurde. Seit 1975 haben wir eine elektronische Orgel.


4. Unsere Kirche auf dem Weg in unsere Zeit
Im 19. Jahrhundert vollzog sich auch in unserem Ort der Umbruch von der geordneten bäuerlichen Welt zur dynamischen Industriegesellschaft. Der Ort wuchs - im Jahr 1900 hatte er schon ca. 1300 Seelen (zum Vergleich: 1655: 251 Seelen, 1800: 795 Seelen, heute: knappe 4000 Evangelische), aber der Glaube und damit auch das Verhältnis zur Kirche wurde problematischer, war nicht mehr so selbstverständlich wie früher. Trotzdem wurde jahrelang gespart, bis im Jahre 1912 ein größerer Umbau der Kirche im Jugendstil erfolgen konnte: Die alten Emporen wurden entfernt, eine neue Empore und ein Anbau (Konfirmandensaal) erstellt, ein neues Gestühl und elektrische Beleuchtung angeschafft. Vor allem aber erhielt die Kirche ihr viertes hochwertiges Kunstwerk:

Das Gemälde
von Prof. Friedrich von Keller
Er schuf für seine Heimatkirche ein großes Bild für die Nordwand des Kirchenraumes zu dem Thema: „Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid". Mühlselige und Beladene - Alte und Kranke, Schuldige und Verzweifelte kommen zu Jesus, der in der Mitte steht und seine Arme einladend ausbreitet.
Im Hintergrund erkennt man das Hügelland von Galiläa mit dem See Genezareth. Die goldenen Ecken deuten an, dass mit Jesus die Ewigkeit in unseren Alltag einbricht.

Die Glocken
Noch ein Wort zu den Glocken: In beiden Weltkriegen musste die Gemeinde eine der beiden Glocken abliefern. Sie wurden unter großen Opfern wieder angeschafft und 1960 durch 2 weitere Glocken ergänzt, so dass wir jetzt das Geläut von 4 Glocken hören können: die größte Glocke (Ton d), die Betglocke, die Kreuz- und Schiedglocke (Ton fis), die Zeichenglocke (Ton a) und die kleinste Glocke (Ton h), die Taufglocke.


5. Unsere Kirche heute
1979 wurde der Chor renoviert und der Altar nach hinten versetzt. Vor allem aber erhielt unsere Kirche ein 5. Kunstwerk:

Die neuen Chorfenster
von Wolf Dieter Kohler, dem 1985 verstorbenen Kunstmaler aus Stuttgart.
Hinter dem Altarkruzifix, als dem Zentrum unseres Glaubens, sehen wir im mittleren Fenster die großen Taten der Heilsgeschichte: Abendmahl, Ostern und ganz oben das Pfingstwunder mit den roten Feuerflammen, die sich wunderbar in das alte Maßwerk fügen. Dieses Mittelfenster gibt die Themen an, der sich das linke Fenster (mit Geschichten aus dem Alten Testament) und das rechte Fenster (mit Geschichten aus den Evangelien) anschließen. Alle Bilder dieser beiden Fenster führen auf diese Mitte zu. Das vierte Fenster weist in die Zukunft mit den Szenen aus der Offenbarung: das himmlische Jerusalem und die erlöste Menschheit, die dem Lamm Gottes, das „alle Tränen von ihren Augen abwischen" wird, ein neues Lied, ein Loblied singt. Das fünfte Fenster schließlich weist mit den Zeichen der örtlichen Landwirtschaft (Wein und Ähren), die zugleich die Zeichen des Abendmahls sind, darauf hin, dass es sich bei diesen Bildern nicht nur um vergangene Geschichten handelt, sondern dass die Gemeinde in Neckarweihingen mitten hinein gehört in diese Heils-
geschichte - in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

Die Pfarrertafel
Als letztes ist zu erwähnen, dass unter der Empore die Pfarrertafel (Pfarrerliste) angebracht wurde, gemalt von W. u. A. Krehl. Alle Ortspfarrer von 1534 bis heute sind hier lückenlos aufgeführt - Menschen wie wir mit ihren Gaben und ihren Fehlern und ihren so verschiedenen Schicksalen, Zeugen der Kirche im Wandel der Zeiten, aber vor allem Zeugen des Wortes Gottes, das uns die Gnade und Liebe Gottes verkündigt, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn.
Neckarweihingen ist gewachsen, seit unsere Kirche gebaut wurde. Viele Heimatvertriebene haben hier eine neue Heimat gefunden. Viele Menschen sind aus anderen Gegenden Deutschlands wie auch aus dem Ausland gekommen, in den Ballungsraum Mittlerer Neckar.
Neckarweihingen wurde zum bedeutenden Stadtteil Ludwigsburgs. Aber immer noch ist es unsere Kirche mit ihrem großen Turm, die jeden grüßt, der über die Neckarbrücke in unser liebes Neckarweihingen kommt.